EMU für die Grundschule

Vielfältigen Wünschen der Bildungsministerien, Schulen und Studienseminare folgend, bieten wir EMU jetzt auch für Grundschülerinnen und Grundschüler der 3. und 4.Klasse an. Diese Fragebögen incl. Begleitmaterial, Leitfragen etc. wurden von Gerlinde Lenske (in Kooperation mit dem EMU-Team) im Rahmen ihrer Dissertation mit dem Thema “Schülerfeedback zur Unterrichtsqualität in der Primarstufe: Untersuchungen zur Validität” entwickelt.

Grundschulversion

  1. Macht es Sinn, von Grundschülern ein fragebogenbasiertes Feedback zur Unterrichtsqualität einzuholen?
  2. Wie führe ich Unterrichtsevaluation durch, wenn ich in einem ersten oder zweiten Schuljahr unterrichte?
  3. Warum benötigen wir für die Grundschule einen anderen Fragebogen als für die Sekundarstufe?
  4. Können Grundschüler Unterrichtsqualität per Fragebogen umfassend und genau einschätzen?
  5. Ist es sinnvoll die Grundschulversion nach eigenen Bedürfnissen ergänzen?
  6. Was ist beim Einführen und Durchführen von Schülerfeedback in der Grundschule zu beachten?



1. Macht es Sinn, von Grundschülern ein fragebogenbasiertes Feedback zur Unterrichtsqualität einzuholen?

Renommierte Wissenschaftler, wie beispielsweise Hattie (2009), fordern, Schülerfeedback in den Prozess der Unterrichtsevaluation einzubinden – auch das Feedback von Grundschülern.

„The lack of use of student evaluations in elementary and high schools should be a major concern. […] A key is not whether teachers are excellent, or even seen to be excellent by colleagues, but whether they are excellent as seen by students – the students sit in the classes, they know whether the teacher sees learning through their eyes, and they know the quality of relationship. The visibility of learning from the students’ perspective needs to be known by teachers so that they can have a better understanding of what learning looks and feels like for the students.” (Hattie, 2009, S. 116)

Grundschüler befinden sich auf einer anderen Entwicklungsstufe als Sekundarstufenschüler und sind deshalb in der Rolle des Feedbackgebers oder Beurteilers noch eingeschränkt (Biemer & Lyberg, 2003; Goswami, 2011; Piaget, 1982). Aufgrund ihres kognitiven Entwicklungsstands sind jedoch etwas ältere Grundschüler (ab Klassenstufe drei) in der Lage, ein aussagekräftiges Urteil über ausgewählte Aspekte der Unterrichtsqualität zu fällen, sofern der Fragebogen altersadäquate Fragen bzw. Items beinhaltet und verschiedene Instruktionen – wie beispielsweise das Vorlesen der Items durch die Lehrkraft – beachtet werden (Lenske, in Arbeit). Je nachdem wie weit die Schüler im 2. Schuljahr vorangeschritten sind, können auch sie ein hilfreiches Feedback per Fragebogen geben. Erstklässlern fällt es noch zu schwer, sich in einem Fragebogen zurecht zufinden , sich auf die einzelnen Items des Fragebogens zu konzentrieren und das gefällte Urteil einer passenden Antwortkategorie zuzuweisen. Auch die noch geringe Unterrichtserfahrung und die infolge dessen geringen Vergleichsmöglichkeiten schränken die Güte des Urteils von Erstklässlern stark ein. Deshalb empfiehlt es sich, die Grundschulversion erst ab Klassenstufe drei (unter Umständen auch ab Klassenstufe zwei) einzusetzen.


2. Wie führe ich Unterrichtsevaluation durch, wenn ich in einem ersten oder zweiten Schuljahr unterrichte?

Das Prozedere gleicht dem Vorgehen, welches ausführlich im Studienbrief für die Sekundarstufe beschrieben wurde: Sie suchen sich einen Tandempartner, hospitieren gegenseitig und halten ihr Urteil auf den entsprechenden Lehrerfragebögen fest. Im Anschluss werden die Daten ausgewertet und Feedbackgespräche mit dem Kollegen bzw. der Kollegin durchgeführt. Der entscheidende Unterschied ist, dass Sie kein Schülerfeedback einholen und sich Ihre Evaluation somit auf die Perspektiven der unterrichtenden Lehrkraft und der hospitierenden Lehrkraft beschränkt. Hierzu können Sie die Fragebögen der Sekundarstufenversion oder der Grundschulversion verwenden. Falls an Ihrer Schule viele Lehrkräfte EMU durchführen und Sie Ihre Ergebnisse mit dem gesamten Grundschulkollegium vergleichen möchten, bietet es sich an, die Grundschulversion zu nutzen (da die Lehrer ab dem dritten Schuljahr wegen der Erhebung des Schülerfeedbacks an die Grundschulversion gebunden sind). Nach dem Feedbackgespräch mit dem Kollegen bzw. der Kollegin sollten Sie ausgewählte Aspekte mit Ihren Erst- oder Zweitklässlern besprechen. Kreisgespräche über Unterrichtsqualität können selbst die jungen Grundschüler führen, lediglich das fragebogenbasierte Urteil fällt ihnen noch schwer.


3. Warum benötigen wir für die Grundschule einen anderen Fragebogen als für die Sekundarstufe?

Aufgrund entwicklungsbedingter Limitationen stellt der Antwortprozess für Grundschüler eine größere Herausforderung dar als für Sekundarstufenschüler (Biemer & Lyberg, 2003; Goswami, 2011; Piaget, 1982). Beispielsweise erschweren der geringe Wortschatz und das noch nicht voll entwickelte Begriffsverständnis die korrekte Interpretation mancher Items. So können Grundschüler z.B. das Item „Die Lehrkraft hat zu Beginn der Stunde klar gemacht, was in der Stunde gelernt werden soll“ nicht valide beantworten. Sie setzen zum Großteil lernen mit machen gleich. Sie würden folglich das Item bejahen, wenn die Lehrkraft zu Beginn der Stunde erwähnt, was in der Stunde gemacht wird (z.B. „Wir beschäftigen uns heute mit dem Thema Haustiere“ oder „Wir bearbeiten heute im Mathebuch Seite 23“). Das Begriffsverständnis von Lernen (im Kontext von Lernzieltransparenz) ist bei Grundschülern in der Regel noch nicht entsprechend ausgebildet, um diesbezüglich ein aussagekräftiges Feedback geben zu können. Des Weiteren beeinträchtigen der teils noch vorherrschende Egozentrismus und die noch recht geringe Erfahrung mit Schule und Unterricht die Urteilsfähigkeit hinsichtlich mancher Aspekte und Items. Aspekte sinnvoller Differenzierung sind beispielsweise mittels Grundschülerfeedback schwer zu eruieren, da einige Schüler selbst in der vierten Klasse noch das Anmalen eines Arbeitsblattes als sinnvolle Beschäftigung ansehen. Aufgrund der teils instabilen Konzentrationsfähigkeit bzw. der noch relativ geringen Aufmerksamkeitsspanne sollten Fragebögen für Grundschüler außerdem eine gewisse Anzahl an Items nicht überschreiten (max. 30-40 Items). Einen Überblick über entwicklungsbedingte Hürden, die es bei der Erstellung von Fragebögen für Kinder zu beachten gilt, geben Lenske & Helmke (2012). Die in der Grundschulversion beinhalteten Items resultieren aus umfangreichen empirischen Studien, die wir im Zuge des KMK-Projekts durchgeführt haben.


4. Können Grundschüler Unterrichtsqualität per Fragebogen umfassend und genau einschätzen?

Unterrichtsqualität umfassend zu beurteilen würde ein Spektrum an Items erfordern, welches die Aufmerksamkeitsspanne und auch das Urteilsvermögen von Grundschülern überschreiten würde. Ein Fragebogen für Grundschüler sollte unserer Erfahrung nach nicht mehr als 30-40 Items beinhalten, da die Konzentration ansonsten nachlässt. Verschiedene Aspekte der Unterrichtsqualität, die methodisch-didaktisches Hintergrundwissen und genaue Begriffsdefinitionen erfordern, können Grundschüler häufig nicht adäquat einschätzen (Clausen, 2002; Lenske, in Arbeit). Beispielsweise sind Grundschüler nicht in der Lage zu beurteilen, ob eine optimale Passung zwischen Methode und Inhalt erzielt wurde. Das noch unvollständige Begriffsverständnis verwehrt Grundschülern auch, Lernziele klar von Beschäftigungs- oder Themenschwerpunkten abzugrenzen. Lernzieltransparenz ist für einen Großteil der Grundschüler bereits hergestellt, wenn die Lehrkraft zu Beginn der Stunde erwähnt, mit welchem Thema oder welcher Buchseite sich im Unterricht beschäftigt wird. Die Begriffe lernen und machen werden hierbei nicht klar differenziert. Darüber hinaus fehlen Grundschülern zum Teil die wesentlichen Indikatoren, um verschiedene Items korrekt zu beantworten. Ob eine Lehrkraft gut erklärt hat, wird in der Regel von Grundschülern ausschließlich am Indikator des eigenen Verstehens gemessen. Insofern kann keine valide Antwort zum Item „Die Lehrkraft hat gut erklärt“ erwartet werden. Das Item „Die Lehrkraft hat so erklärt, dass ich alles gut verstehen konnte“ kann hingegen bereits von Grundschülern beantwortet werden. Bezüglich der Urteilsgenauigkeit bieten Schülerurteile den generellen Vorteil, dass kleine Abweichungen durch die Aggregation auf Klassenebene (durchschnittliches Klassenurteil) relativiert werden. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass Grundschüler dazu tendieren, recht positiv zu urteilen. Eine unserer Studien zeigt beispielsweise, dass der Aspekt der Allgegenwärtigkeit (Indikator für Klassenführung) von den Grundschülern nicht immer realitätsgetreu eingeschätzt werden konnte. Hierfür gibt es eine einfache Erklärung: Während der hospitierende Kollege sich rein auf das Beobachten konzentrieren kann, sind die Schüler selbst aktiv ins Unterrichtsgeschehen eingebunden. Es fällt ihnen deshalb schwerer, von der Lehrkraft übersehene Meldungen oder Störungen zu registrieren. Schülerfeedback ist dennoch auch in diesem Bereich wichtig, da eine negative Einschätzung als ein deutliches Anzeichen für Optimierungsbedarf zu interpretieren ist. Ferner gibt es auch Bereiche, die Grundschüler besser einschätzen können als Lehrkräfte. Beispiele hierfür sind der Anregungsgehalt der Stunde und das Unterrichtsklima. Schließlich können Lehrkräfte auch Grundschülern nicht „in die Köpfe schauen“ und deshalb lediglich Vermutungen darüber anstellen, ob sie sich in der Stunde wohl fühlen oder ob die Stunde ihr Interesse anregt.
Alles in allem lässt sich auf Basis unserer Studien sagen, dass Grundschüler Unterrichtsqualität nicht umfassend einschätzen können, sie aber zu ausgewählten Aspekten unter Nutzung altersadäquater Items ein durchaus hilfreiches und aussagekräftiges Feedback geben können. Die Grundschulversion stellt ein Instrumentarium zur Verfügung, welches zentrale Aspekte der Unterrichtsqualität beinhaltet.


5. Ist es sinnvoll die Grundschulversion nach eigenen Bedürfnissen zu ergänzen?

Unbedingt! Die Grundschulversion stellt nur ein Basis-Instrumentarium dar, welches der Entwicklungsstufe von Grundschülern angepasst ist. Insofern bleiben in dieser Version verschiedene Aspekte außen vor. Als Lehrkraft sollten Sie im Zuge der evidenzbasierten Evaluation sowohl Ihre Kompetenz als auch die Ihres Kollegen bzw. Ihrer Kollegin optimal nutzen, indem Sie auf weitere Aspekte Ihres Unterrichtshandelns fokussieren: EMU bietet die Option, zusätzliche Items in die Lehrerfragebögen zu integrieren. Hierzu sollten Sie sich vor der Hospitation überlegen, welchen Qualitätskriterien Sie weitere oder besondere Aufmerksamkeit schenken möchten. Sie können Kriterien vertiefen, indem Sie beispielsweise den Aspekt der Klarheit und Strukturiertheit um Aspekte der Lehrersprache ergänzen. Sie können auch zusätzliche Qualitätsmerkmale aufnehmen, wie beispielsweise den Umgang mit Heterogenität. Zur Ergänzung der Lehrerfragebögen der Grundschulversion können Sie auf Items aus der Sekundarstufenversion und den Itempool zurückgreifen.
Ferner besteht die Möglichkeit, auch den Schülerfragebogen zu ergänzen (um max. 10 weitere Items). Führen Sie beispielsweise in der evaluierten Stunde Gruppenarbeit durch, kann es hilfreich sein, auch die Schüler zu ausgewählten Aspekten der Gruppenarbeitsphase zu befragen. Für diesen Zweck können Sie eine Auswahl aus dem Schülerfragebogen zur Qualität der Gruppenarbeit treffen. Es ist allerdings zu beachten, dass Grundschüler verschiedene Aspekte der Unterrichtsqualität nicht adäquat einschätzen können. Items, welche methodisch-didaktisches Hintergrundwissen erfordern, sollten beispielsweise nicht in den Schülerfragebogen aufgenommen werden.


6. Was ist beim Einführen und Durchführen von Schülerfeedback in der Grundschule zu beachten?

Den Grundschülern sollte in aller Ruhe erläutert werden, weshalb Sie erwägen, sowohl Schüler- als auch Kollegenfeedback einzuholen. Auch der Umgang mit dem Fragebogen sollte vor der Erhebung ausführlich erklärt und mit den Schülern entsprechend geprobt werden. Anders als Sekundarstufenschüler benötigen Grundschüler Ihre Unterstützung zur Orientierung im Fragebogen, indem Sie die Items laut vorlesen. Genaue Hinweise zur jeweiligen Vorgehensweise finden Sie hier.
Eine Checkliste hilft Ihnen, während der Evaluation mit EMU an alle wesentlichen Aspekte zu denken.


Zu den Fragebögen und Materialien



Literaturverzeichnis

Biemer, P. P. & Lyberg, L. E. (2003). Introduction to survey quality. Hoboken, N.J: Wiley. Verfügbar unter http://www.worldcat.org/oclc/52626901.
Clausen, M. (2002). Unterrichtsqualität: eine Frage der Perspektive? Münster: Waxmann.
Goswami, U. C. (2011). The Wiley-Blackwell handbook of childhood cognitive development (2. Aufl.). Chichester: Wiley-Blackwell.
Hattie, J. (2009). Visible learning. A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. London: Routledge.
Lenske, G. (in Arbeit). Schülerfeedback zur Unterrichtqualität in der Primarstufe: Studien zur Validität. Dissertation, Universität Koblenz-Landau. Landau
Lenske, G. & Helmke, A. (eingereicht): Child respondents – do they really answer what scientific questionnaires ask for? In A. Kauertz, H. Ludwig, A. Müller, J. Pretsch & W. Schnotz (Hrsg.), Multiple Perspectives on Teaching and Learning.
Piaget, J. (1982). Sprechen und Denken des Kindes (Bd. 1). Düsseldorf: Schwann.